Machtsensibles Arbeiten am Theater
Beim Regieführen befindet man sich in einer Machtposition. Ich mag diese Position. Ich treffe gerne Entscheidungen, und es fällt mir leicht, die damit verbundene Verantwortung zu tragen. Meistens bereitet es mir sogar Freude. Gleichzeitig bin ich mir der Verantwortung bewusst, die damit einhergeht.
Dauerhaft in Machtpositionen zu sein, bringt Nebenwirkungen mit sich. Wissenschaftler*innen warnen seit Jahren vor dem Einfluss von Macht auf das menschliche Gehirn. Es tut uns nicht gut, über andere Menschen zu bestimmen. Eine Reihe von Untersuchungen hat gezeigt, dass Macht zu einer negativen Einstellung anderen gegenüber führt.[1] Menschen, die viel Macht besitzen, sind nachweislich asozialer, unempathischer und manipulativer als der Durchschnitt.[2]
Es ist faktisch bewiesen, dass Personen in Machtpositionen auf lange Sicht immer schlechtere Entscheidungen treffen, wenn sie nicht bewusst gegen die negativen Auswirkungen arbeiten. Eine der effektivsten Methoden, um sensibel und selbstkritisch zu bleiben, ist das Teilen der Macht.
Dies ist besonders dann sinnvoll und notwendig, wenn ein erhöhtes Risiko besteht. In Bezug auf körperliche Verletzungen sind wir hier zum Glück schon sehr weit. Es gibt Gefährdungseinschätzungen und Sicherheitseinweisungen. Im Bereich der psychologischen Sicherheit sind wir im Theater jedoch noch am Anfang unserer Bemühungen.Darüber hinaus bin ich Mitglied im BIK (Berufsverband für Intimitätskoordination und Kampfchoreografie) und gebe Weiterbildungen sowie Workshops, zum Beispiel an der Theaterakademie August Everding und der Hochschule für Musik und Theater München, zum Thema Intimitätskoordination und machtsensibles Arbeiten für Schauspielende, Sänger*innen, Studierende, Dramaturg*innen und Führungspersonen im Theater.
Ein besonderes Risiko birgt die Darstellung von intimen Szenen.
Durch die #MeToo-Bewegung entwickelte sich in der Regiearbeit bei Theater und Film der neue Beruf der Intimitätskoordination. Die Intimitätskoordination sorgt dafür, dass trotz klarer und starker Machtdynamiken persönliche Grenzen zu jedem Zeitpunkt der Produktion gewahrt bleiben. Die Basis für diese Arbeit bildet der “Consent”[3] (in diesem Kontext am ehesten mit dem deutschen Wort „Einwilligung“ oder „Zustimmung“ zu übersetzen). Das Konzept des Consents beschreibt die Praxis, dass jede Person entsprechend der eigenen persönlichen Grenzen die Zustimmung zu Verhaltensweisen geben oder verweigern kann. Ihm liegt die Annahme zugrunde, dass „stille“ Zustimmung nicht vorausgesetzt werden kann, sondern „Zustimmung“ aktiv gestaltet werden muss. Consent ist also individuell abhängig von Person und Situation. Der besondere Fokus der Consent-Methode liegt darauf, die Handlungsfähigkeit aller Beteiligten zu sichern und ein konstruktives, kollaboratives Arbeiten zu etablieren. Durch eine Orientierung am Konzept des Consents im Arbeitskontext werden alle Beteiligten, in ihren individuellen Grenzen geschützt.
Der Consent-orientierte Ansatz bietet einfache Handlungsoptionen, wie eine situationsangemessene Grenze der eigenen Bedürfnisse kommuniziert werden kann, trotz einer Abhängigkeit und einem Machtgefälle, in dem sich die verschiedenen Produktionsbeteiligten automatisch befinden. Die Bedürfnisse stehen hier für sich; die Gründe müssen nicht zur Sprache kommen. Trotzdem verbessert sich die Arbeitssituation nachhaltig für alle Beteiligten, und die Kommunikation wird in einen produktiven, schützenden Rahmen eingebettet.
Ein Consent-orientierter Umgang in Theatern ist eine Möglichkeit, die klassischen und etablierten Machtstrukturen so zu gestalten, dass die persönlichen Grenzen der Mitarbeitenden in jeglicher Position konstruktiv genutzt werden. Mithilfe der Consent-Methoden kann die Leitung Lösungswege finden, die unabhängig von der privaten Geschichte der Beteiligten sind. Den Beteiligten auf der anderen Seite werden kommunikative Methoden an die Hand gegeben, mit denen sie befähigt werden, ihre persönlichen Grenzen zu setzen, ohne dass die Arbeit und Effektivität beeinträchtigt wird.
Durch meine Ausbildung zur Intimitätskoordinatorin bin ich in der Lage, die Gratwanderung zwischen künstlerischer Vision und der psychologischen Sicherheit aller Beteiligten zu gestalten. Dies äußert sich bei meinen Regiearbeiten darin, dass ich machtsensibel agiere, darauf achte, dass ich die Verantwortung sinnvoll aufteile, und Machtgefälle, z. B. durch den Einsatz einer Intimitätskoordination, bewusst durchbreche.
Wenn ich selbst als Intimitätskoordination unterstütze, fördere ich durch meine Arbeit die kreative Freiheit und visionäre Kunst der Regie durch effektive, moderne Methoden und Techniken. So wird die kreative Vision der Produktionsleitung mit den Grenzen aller Beteiligten verbunden.
Darüber hinaus bin ich Mitglied im BIK (Berufsverband für Intimitätskoordination und Kampfchoreografie) und gebe Workshops und unterrichte, zum Beispiel an der Theaterakademie August Everding und der Hochschule für Musik und Theater München, zum Thema Intimitätskoordination und machtsensibles Arbeiten für Schauspielende, Sänger*innen, Studierende, Dramaturg*innen und Führungspersonen im Theater.
[1] M.Ena Inesi u.a, “How Power Corrupts Relationships:Cynical Attributions for Other’s Generous Acts”. Journal of Experimental Social Psychology, Vol. 48, Issue 4 (2012), S.795-803
[2] Vgl. Keltner, Das Macht-Paradox (2016), S.101-134
[3] Nicht zu verwechseln mit den Begriffen des „Konsent“ welcher die Entscheidungsfindung in Gruppen beschreibt. Konsent Entscheidungsfindung – #DNO (digitaleneuordnung.de)